Beidseitige Kriegsfinanzierung: wenn das nicht Wahnsinn ist…

Was aktuell in Sachen Kriegsfinanzierung vor sich geht, hat der bekannte Journalist Thomas L. Friedman kürzlich in der New York Times auf den Punkt gebracht:

Unsere anhaltende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen stärkt Wladimir Putins Petro­diktatur und schafft eine Situation, in der wir hier im Westen […] beide Seiten des Krieges finanzieren.

Amerika finanziert seine Militärhilfe für die Ukraine mit Steuergeldern, und einige von Ameri­kas Verbündeten finanzieren Putins Militär mit dem Kauf des Öls und des Gases, die er expor­tiert.

Und wenn das nicht der Inbegriff des Wahnsinns ist, dann weiß ich nicht, was es ist. […]

Zu ergänzen wäre, dass auch die Europäische Union mit Steuergeldern dazu beiträgt, die ukrainischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen.

 

Aber die hierfür eingesetzten Beträge ver­blassen im Vergleich zu jenen, die aus Europa täglich für Öl- und Gaslieferungen an den Kriegs­gegner Russland fliessen.

 

Dass der Westen beide Kriegsparteien finanziert, ist keine gute Idee. Es liegt auf der Hand, dass damit längeres Blutvergiessen, noch mehr Kriegszerstörungen, noch mehr Flüchtlingselend und noch höhere Sicherheitsrisiken für Europa und die Welt vorprogrammiert sind. Aber bringen wir den Mut auf, dem ein Ende zu setzen?

Die Ukraine im Stich zu lassen, kann nicht die Lösung sein. Die Ukrainer sind einem völker­rechtswidrigen Angriffskrieg ausgesetzt.

Und ihnen steht eine Militärmacht gegenüber, die der Aggressor über Jahre hinweg mithilfe von Handelserlösen und Technologie aus einem grenzen­los naiven Europa aufgebaut hat.

 

Wir stehen in der Verantwortung.

 

Es gibt nur einen Weg, den Widerspruch der beidseitigen Kriegsfinanzierung aufzulösen: Ein­stellung oder drastische Reduktion der Zahlungen für Öl- und Gasimporte aus Russland, unter Inkaufnahme des Risikos eines russischen Lieferausfalls. In den Worten der „Wirtschafts­weisen“ Veronika Grimm:

Die Zahlungen an Russland sollten […] beendet oder zumindest extrem reduziert werden. Auch wenn wir dadurch einen Lieferstopp riskieren.

In diese Richtung beginnt die EU sich nunmehr zu bewegen, indem sie einen schrittweisen Ausstieg aus russischem Erdöl diskutiert.

Allerdings bleibt unklar, ob und wann das EU-Öl­em­bargo tatsächlich kommt, nachdem es vorerst am Widerstand Ungarns gescheitert ist.

Vor allem aber ist der Zeitplan zu zaghaft. Bis die Ölimporte aus Russland auslaufen, werden Monate und Jahre vergehen, während ein Stopp der Gasimporte noch gar nicht erst ins Auge gefasst wird.

Mit Friedman dürfen wir getrost annehmen, dass Putin sich in der Zwischenzeit ins Fäustchen lacht.

Nach der Invasion der Ukraine sind seine Einnahmen aus Exporten fossiler Brennstoffe sprunghaft gestiegen.

In den ersten beiden Kriegsmonaten hat sich der Wert der EU-Energie­importe aus Russland im Vergleich zu denselben zwei Monaten des Vorjahres mehr als ver­doppelt – und zwar nicht etwa wegen eines doppelten Importvolumens, sondern einzig wegen höherer Öl- und Gaspreise.

Friedman bemerkt dazu:

Putin fängt einen Krieg an, der zu Instabilität führt, was die Ölpreise in die Höhe treibt, so dass er doppelt so viel Geld einnimmt, obwohl er ungefähr die gleiche Menge Öl exportiert.

Wie lange will Europa dieses Spiel noch mitmachen?

Entschlossenes Handeln ist dringend. Um dem Treiben des russischen Regimes Einhalt zu ge­bieten, ist endlich die zentrale Finanzierungsquelle des Aggressors, das Öl- und Gasgeschäft, ent­schieden ins Visier zu nehmen,

sei es über einen unverzüglichen Importstopp, über hohe Zölle oder über die Einspeisung der Zahlungen in einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine.

Und dies muss jetzt geschehen – nicht erst, wenn neue Gräueltaten, zusätzliche Verheerungen und weiter verschärfte globale Auswirkungen des Konflikts noch offensichtlicher machen, dass die Lage immer mehr ausser Kontrolle gerät.

Sicherheit hat Priorität. Angst vor einschneidenden Massnahmen ist ein schlechter Ratgeber – und hoch gefährlich.

Peter Münch

 

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