Die Debatte über die Energieimporte aus Russland, über die wir fortlaufend in massivem Umfang den Aggressor finanzieren, ist in vollem Gang.

Hier finden Sie Zitate, die Einblicke in diese Debatte vermitteln.

Unter Putins Name ist 1999 ein akademischer Artikel erschienen, worin zu lesen steht: «Der russische Rohstoffsektor bildet die Grundlage für die Verteidigungskraft des Landes. Eine hochentwickelte Rohstoffbasis ist eine notwendige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des militärisch-industriellen Komplexes des Landes und schafft die notwendigen strategischen Reserven und Potenziale.»

            Die NZZ bemerkt dazu: «Ob Putin den Text selbst geschrieben hat, ist unklar. Un­zweifel­haft ist, dass der Kreml-Herrscher diese Worte verinnerlicht hat.»

Gerald Hosp, Europa ist Putin nicht ausgeliefert (Leitartikel), NZZ 16.7.2022

https://www.nzz.ch/zuerich/meinung/energiekrise-europa-ist-putin-nicht-ausgeliefert-ld.1693436?reduced=true

Siehe auch: https://www.theatlantic.com/daily-dish/archive/2008/08/putins-thesis-raw-text/212739/

CREA fordert alle Regierungen und Unternehmen, die fossile Brennstoffe aus Russland kaufen, dazu auf

  • sämtliche Käufe einzustellen, um die Wirkung der Sanktionen zu verstärken und dazu beizutragen, den Krieg und die vom russischen Militär begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden.
  • den Weitervertrieb von russischen fossilen Brennstoffen an Dritte zu beenden.
  • während einer allfälligen Auslauf- oder Übergangszeit oder, wenn ein vollständiges Verbot nicht sinnvoll ist, Zölle auf Einfuhren aus Russland zu erheben. Ausreichend hohe Zölle würden die Käufer ermutigen, möglichst nicht von Russland zu kaufen, und die an russische Lieferanten auf den Spotmärkten gezahlten Preise dämpfen.
  • einen Plan zu erstellen, um russische fossile Brennstoffe so bald wie möglich durch saubere (nicht-fossile) Energie, Energieeffizienz und Energiesparmaßnahmen zu er­setzen. Dies wird weitaus mehr bewirken, als nur die globalen Handelsströme fossiler Brennstoffe neu zu ordnen, und wird weitaus größere Vorteile für die Wirtschaft, die Gesundheit und die nationale Sicherheit bieten.

Center for Research on Energy and Clean Air

(übersetzt aus dem Englischen)

https://energyandcleanair.org/financing-putins-war/

Russland hat die Misserfolge aus den ersten Wochen der Invasion hinter sich gelassen. Mit einer Zeitlupen-Strategie der Zerstörung beisst sich die russische Armee im Donbass fest […]. Die Oblaste Luhansk und Donezk sind weitgehend besetzt, die Landbrücke zur Krim ist gesichert, Odessa und damit die komplette Schwarzmeerküste liegen im Zielvisier. Warum also aufhören?

[…] Wie sicher sich Putin seiner Sache wähnt, zeigt sein perfides Verhandlungsangebot: Über einen Export ukrainischen Weizens könne gesprochen werden, sofern der Westen im Gegen­zug Sanktionen für den Export russischen Getreides aufhebe. Putin spielt mit der Sorge um eine humanitäre Nahrungsmittelkatastrophe. Er weiss, dass die Hungernden aus Nahost und Afrika zuerst Westeuropa ansteuern werden.

Was der russische Diktator ebenfalls nach oberflächlicher Lektüre westlicher Medien weiss: Dieser Westen ist verwirrt, er ist uneins, er wird langsam kriegsmüde. Die […] Bereit­schaft zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte lässt nach, die Folgen des Kriegs sind vor allem in Europa immer mehr zu spüren, und die Heizperiode hat noch nicht einmal begonnen. Ein einziger Regierungschef, Viktor Orban aus Ungarn, zerkrümelt die Ent­schlossen­heit der EU mit seinem Widerstand gegen ein Ölembargo.

Entschlossenheit ist aber das Schlüsselwort im Umgang mit Putin. Wenn dieser Mann stets in der Lage ist, einen Schritt weiter zu laufen, eine Brutalität mehr zu begehen, eine zusätzliche Erpressung zu wagen – dann wird man diesen Willenskrieg gegen ihn nicht gewinnen können. […]

Es ist erstaunlich, dass es dem Westen und vor allem seinen europäischen Führungs­nationen Frankreich und Deutschland nach wie vor nicht gelingt, Putins Russland als existen­zielle Bedrohung für die eigene Stabilität zu verstehen. In diesem Krieg wurden vor Jahren Desinformation, Unterwanderung und Terror eingesetzt. Inzwischen heissen die Waffen Öl, Gas und Weizen. Dieser Krieg wird auch nicht im Donbass enden, sondern sich an die Küste des Schwarzen Meeres entlangfressen bis nach Moldau hinein.

Deshalb ist es bemerkenswert, wie schnell eine prinzipielle Gefahr relativiert werden kann, wenn die Entschlossenheit erst einmal schwindet. Für den Westen entscheidet sich der Willens­kampf mit Putin jetzt.

Stefan Kornelius, Putins perfides Verhandlungsangebot, Tagesanzeiger 30.5.2022

So gründlich dürfte sich Ursula von der Leyen schon lange nicht mehr verrechnet haben. «Wir werden russische Rohöllieferungen innerhalb von sechs Monaten und raffinierte Erzeugnisse bis Ende des Jahres auslaufen lassen», prognostizierte die EU-Komissions-Präsidentin Anfang Mai […].

Fast vier Wochen später ist die laut von der Leyen «härteste Strafmassnahme der EU gegen Russland» jedoch noch immer nicht in trockenen Tüchern, und für die Europäische Union droht es peinlich zu werden. Mit Ungarn lehnt ein Mitgliedstaat, der besonders stark am russischen Öltropf hängt, das Einfuhrverbot weiterhin kategorisch ab. […]

Die EU-Kommission, die sich zunächst noch gegen eine Verwässerung der Pläne gewehrt hatte, schickte am Wochenende ein abgeschwächtes Konzept in die Hauptstädte. So wird vorgeschlagen, die sogenannte Druschba-Pipeline vom Erdölembargo bis auf weiteres auszunehmen. Durch jene Leitung fliesst nach EU-Angaben rund ein Drittel aller Erdölimporte aus Russland. […]

Für Russland wäre der verwässerte Sanktionsplan in jedem Fall eine gute Nachricht. Das Erdölgeschäft dürfte teilweise weiterlaufen, und die EU stünde nur oberflächlich geschlos­sen da. Die international hohen Energiepreise haben Moskau schon jetzt satte Mehr­einnahmen beschert. […]

Daniel Steinvorth, Das Ölembargo wird aufgeweicht, NZZ 30.5.2022

[…] Unsere anhaltende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen stärkt Wladimir Putins Petro­diktatur und schafft eine Situation, in der wir im Westen – ja, sagen Sie es jetzt mit mir – beide Seiten des Krieges finanzieren. Amerika finanziert seine Militärhilfe für die Ukraine mit Steuergeldern, und einige Verbündete Amerikas finanzieren Putins Militär mit dem Kauf seiner Öl- und Gasexporte.

Und wenn das nicht der Inbegriff des Wahnsinns ist, dann weiß ich nicht, was es ist. […]

Heute entwickelt die Europäische Union einen Plan, um ihre Abhängigkeit von russischem Öl und Gas bis 2027 zu beenden, aber in der Zwischenzeit lacht sich Putin ins Fäustchen. Wie CNN im April unter Berufung auf einen Bericht des Center for Research on Energy and Clean Air berichtete: „Die russischen Einnahmen aus den Exporten fossiler Brennstoffe in die Europäische Union sind in den ersten beiden Monaten nach der Invasion in der Ukraine sprunghaft angestiegen“ – auf 46,3 Milliarden Dollar. Das war mehr als doppelt so viel wie der Wert der russischen Energieeinfuhren in die EU in denselben zwei Monaten des Vorjahres.

Das lag nicht daran, dass sich das Importvolumen der EU verdoppelt hätte. Die höheren Öl- und Gaspreise waren für den Großteil dieses Anstiegs verantwortlich. Mit anderen Worten: Putin fängt einen Krieg an, der zu Instabilität führt, was die Ölpreise in die Höhe treibt, so dass er doppelt so viel Geld verdient, obwohl er ungefähr die gleiche Menge Öl exportiert.

Thomas L. Friedman, Falling for big talk on energy,

New York Times, 19.05.2022

(übersetzt aus dem Englischen)

Wird Russland besser oder schlechter dastehen als zu Beginn dieser Invasion am 24. Februar 2022? Jedes Ergebnis, bei dem Russland besser dasteht als vor dem Krieg, wäre ein Sieg für den Kreml – selbst wenn er sein ursprüngliches Ziel, die gesamte Ukraine zu unterwerfen, verfehlt.

Der Westen braucht eine Strategie, die garantiert, dass Russland am Ende schlechter dasteht als vor der Invasion. Ein Frieden, der zum zweiten Mal nach 2014 eine russische Invasion mit ukrainischem Territorium belohnt, hätte schwerwiegende Folgen für die Zukunft der Ukraine, die Sicherheit und Glaubwürdigkeit des Westens und die Normen der Souveränität und Nichteinmischung, die der internationalen Ordnung zugrunde liegen.

Erstens würde ein solcher Frieden sowohl Russlands Aggression als auch seine schrecklichen Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen. […] Ein Nettogewinn an Territorium und Propaganda würde Russland eher ermutigen als befriedigen. Dies könnte nicht nur den Weg für eine dritte russische Invasion in der Ukraine in der Folgezeit ebnen, sondern würde auch die Sicherheit und Glaubwürdigkeit des Westens erschüttern.

Zweitens wäre eine geschrumpfte Ukraine dauerhaft geschwächt, insbesondere wenn Russland seine Kontrolle über die ukrainische Küste festigt oder, schlimmer noch, ausweitet. […] Dies würde die Ukraine ersticken […].

Außerdem könnte Russland in jedem neuen Gebiet, das es kontrolliert, weitere Gräuel­taten verüben. Die Ukrainer werden sich wahrscheinlich gegen jede Form der Besatzung wehren. Ein Ende der Kämpfe wird nicht das Ende der Gewalt bedeuten, sondern den Beginn weiterer russischer Aggressionen. Eine Besatzung ist kein Rezept für Stabilität.

Schließlich würde die Ukraine weitere Gebietsverluste nur nach einem langen und kostspieligen Kampf hinnehmen. Jeder Tag des Krieges in der Ukraine bringt weitere materielle Schäden und zivile Todesopfer mit sich und schwächt das Land weiter. Dennoch scheinen sich einige europäische Staaten damit zufrieden zu geben, zuzusehen, wie sich beide Seiten monatelang, ja sogar jahrelang, einen Zermürbungskrieg liefern, bis sie sich gegenseitig erschöpfen. Eine zermürbende Pattsituation abzuwarten, um die Konturen einer Friedenslösung zu definieren, würde Russland begünstigen.

Um dies zu verhindern, muss der Westen dafür sorgen, dass Russland schlechter dasteht als vor der Invasion. Zumindest sollte die westliche Politik dafür sorgen, dass Russland kein neues ukrainisches Territorium gewinnt und so lange mit strengen Sanktionen belegt wird, bis es seine Politik gegenüber der Ukraine grundlegend ändert.

Bei den Sanktionen wäre es angebracht, davon auszugehen, dass Russland vollständig vom Zugang zu den westlichen Volkswirtschaften abgeschnitten werden sollte, und dann die notwendigen Ausnahmen vorzusehen, anstatt den Status quo zugrundezulegen und mit einzelnen Maßnahmen zu beschneiden. Die nächsten Schritte – vor allem die schrittweise Einstellung der russischen Öl- und dann der Gaseinfuhren nach Europa – sind kostspieliger und schwieriger als die bereits verhängten Sanktionen. Aber es gibt keinen kostenfreien Weg, um dieser schwerwiegenden sicherheitspolitischen und humanitären Bedrohung des Kontinents zu begegnen. Weitere Sanktionen wären unbequem für Europa – aber verheerend für Russland. […]

Nigel Gould-Davies, (senior fellow for Russia and Eurasia at the
International Institute for Strategic Studies, former British diplomat),
New York Times, 13.05.2022
(übersetzt aus dem Englischen)

Wir sind uns als Ökonomen […] sicher, dass ein europäisches Embargo gegen russisches Öl und Gas der schnellste Weg ist, um Putins Krieg in Europa zu stoppen. […]

Die Öl- und Gaseinnahmen sind die wichtigste Quelle des russischen Haushalts. Im Jahr 2021, bei deutlich niedrigeren Ölpreisen, machten die Öl- und Gassteuern 40 Prozent des Etats aus.

Die Zahlungen, die Putin aus dem Verkauf der russischen Bodenschätze erhält, werden also jetzt und auch in Zukunft für die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine verwendet. Es stimmt zwar, dass Putin seine Militärs und Polizisten in Rubel und nicht in Euro bezahlt. Aber ohne die Einnahmen aus dem Rohstoffexport wird der russische Haushalt massiv ins Defizit abrutschen. Putin wird also entweder die Gehälter der Soldaten und Offiziere kürzen oder Geld drucken müssen.

Doch das Gelddrucken ist gefährlich. […] Wenn Putin […] Rubel ins System pumpen lässt, wird das die Teuerung […] anheizen.

Im Falle eines Öl- und Gasembargos würden der Rückgang der Deviseneinnahmen und die sich beschleunigende Inflation Putins Fähigkeit untergraben, die Kaufkraft der Gehälter von Polizisten, Bürokraten und Propagandisten aufrechtzuerhalten. Doch diese Gruppen sind die wichtigsten Stützen seines repressiven Regimes im Inland. […]

Die Hälfte der russischen Ölexporte und drei Viertel der Gasexporte gehen bisher nach Europa. Eine vollständige Substitution durch China und andere Länder ist angesichts der Be­schrän­kungen der Transportinfrastruktur und der Größe des europäischen Marktes unmöglich.

Noch wichtiger ist jedoch, dass ein Embargo gegen Russland die Entschlossenheit und Einigkeit des Westens noch einmal untermauern und neue Handlungsoptionen schaffen würde. Wenn Europa keine Geschäfte mehr mit russischem Öl und Gas macht, würde es zum Beispiel für die Vereinigten Staaten viel einfacher, sogenannte Sekundärsanktionen gegen Länder zu verhängen, die weiterhin mit Russland Handel treiben.

Putin will diesen Krieg fortsetzen, der sowohl für die Ukraine als auch für Russland wirtschaftlich verheerend ist und bereits Tausende Menschenleben gekostet hat. […] Die beste Möglichkeit, Putins Angriffskrieg zu stoppen, besteht darin, ihm durch einen Importstopp die finanziellen Mittel für die Fortsetzung dieses Krieges zu entziehen. Ein solches Embargo müsste zudem so lange Bestand haben, bis Russland glaubhaft versichert, dass es keine weiteren Aggres­sionen in der Ukraine oder anderswo unternimmt.

Wird das Embargo nicht rasch umgesetzt, verlängert sich der Krieg in der Ukraine, der bereits jetzt hohe wirtschaftliche Kosten für Europa verursacht. Zudem muss man auch die Kosten einer möglichen weiteren Eskalation des Krieges bedenken, falls andere Länder in die Auseinandersetzung verwickelt werden. Das Embargo würde Putin die finanziellen Mittel zur Fortsetzung des Krieges entziehen und ihn innenpolitisch massiv schwächen. Jede andere poli­ti­sche Option ist ökonomisch kostspieliger und politisch gefährlicher.

Sergej Gurijew / Oleg Itskhoki, Öl und Gas aus Russland: Warum ein
Embargo Putins Krieg beenden könnte, SPIEGEL, 22.03.2022
https://www.spiegel.de/wirtschaft/oel-und-gas-aus-russland-warum-ein-embargo-
wladimir-putins-krieg-beenden-koennte-a-9537c522-5f56-4856-97bc-86080c2b7028

Im verschärften Krisenszenario würde das reale BIP im laufenden Jahr gegenüber dem Jahr 2021 um knapp 2% zurückgehen. Außerdem würde die Inflationsrate längere Zeit erheblich höher ausfallen. […] Dabei ist hervorzuheben, dass solche Rechnungen selbst für ein definiertes Risikoszenario erheblichen Unsicherheiten unterliegen und die künftige Entwicklung sowohl über- als auch unterzeichnen können.

Deutsche Bundessbank, Zu den möglichen gesamtwirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs:
Simulationsrechnungen zu einem verschärften Risikoszenario, Monatsbericht April 2022, S. 15–31.
https://www.bundesbank.de/resource/blob/889640/97ca0f0ed36b71ebd54fe83c824ffeef/mL/2022-04-ukraine-data.pdf

Berichterstattung in der FAZ: In Ihrem am Freitag veröffentlichten Monatsbericht prognosti­zieren die Volkswirte der Bundesbank in einem verschärften Krisenszenario mit einem Embargo russischer Gas- und Ölimporte einen Rückgang des realen Bruttoinlandprodukts (BIP) gegen­über dem Jahr 2021 um 2 Prozent. […] Nach den […] Modellrechnungen würde Europas grösste Volkswirtschaft selbst im schlechtesten Szenario mit einem vollständigen Einfuhrstopp russi­scher Energieprodukte nicht so stark schrumpfen wie im Corona-Krisenjahr 2020. Damals war die Wirtschaftsleistung um 4,9 Prozent geschrumpft.

Kommentar von Johannes Pennekamp in der FAZ: Jetzt ist es quasi amtlich: Ein europäisches Öl- und Gasembargo gegen Russland würde die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefe Rezes­sion stürzen. Der Wirtschaftseinbruch würde mit hoher Wahrscheinlichkeit aber glimpflicher ausfallen als der während der Coronakrise. Das hat die alles andere als leichtfertig urteilende Bundesbank errechnet und damit die Grössenordnungen vorheriger Abschätzungen bestätigt. Sie setzt damit die Bundesregierung unter noch grösseren Rechtfertigungsdruck. […] [Die Bun­des­regierung] ist nicht bereit, einen hohen, aber verschmerzbaren Preis zu zahlen, um Putin den Geldhahn abzudrehen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 23.04.2022, S. 17.

Wenn die Russen Kriegsverbrechen begehen, sogar Völkermord, dann begehen alle, die Russ­land mit diesem blutigen Geld versorgen, das gleiche Kriegsverbrechen […].

Wir kennen den Namen des Schiffes, die Flagge, den Namen des Kapitäns, die Menge des Öls, wir wissen, wie viel Geld für dieses Öl bezahlt wurde, den Zielhafen, die Firma, welche die Versicherung verkauft hat. Mit diesen Informationen werden wir arbeiten. Wir haben jetzt andere Dinge zu tun, die viel dringender sind, aber wir beobachten jeden, der so etwas tut.

Wir sind überzeugt, dass wir, wenn Unternehmen Kriegsverbrechen begehen, all diese Leute strafrechtlich verfolgen und verklagen werden. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht in 10 Jahren, aber wir werden diese Leute finden. […] [Über das Versäumnis großer westlicher Volkswirtschaften, ein sofortiges Embargo gegen Importe aus Russland zu verhängen:] Die Menschen in Europa … glauben, dass sie uns helfen können, dass sie unsere großen Freunde sind, und das sind sie auch […]. Aber sie ver­stehen nicht, dass sie mit dem Geld, das sie an Putin liefern, seine Militärmaschinerie finan­zieren. Sie benutzen es, um uns zu töten, um die schrecklichen Dinge zu tun, die sie in Butscha und an anderen Orten getan haben.

Es beunruhigt mich, dass wir in Europa immer nur über Geld reden. In der Ukraine geht es um Menschenleben.

Oleg Ustenko (Wirtschaftsberater des Präsidenten der Ukraine), 23.04.2022

zitiert von Rob Davies in der britischen Zeittung The Guardian

https://www.theguardian.com/world/2022/apr/23/countries-buying-russian-oil-complicit-in-war-crimes-says-ukraine-adviser

Es gibt eine sehr interessante Grafik. Sie zeigt den Verlauf von Putins Zustimmungswerten in der russischen Bevölkerung. Jedes Mal, wenn seine Popularitätszahlen zu sinken begannen, hat er einen neuen Krieg angezettelt. So geschehen 2008 in Georgien. So geschehen 2014, als er die Krim annektierte. Die Kriege lassen seine Zustimmungswerte zuverlässig steigen – auch jetzt. Der Angriff auf die Ukraine hat meines Erachtens vor allem mit der Angst Putins zu tun, seine Macht zu verlieren. […]

Image sourde: EuromaidenPress

Für mich ist die Korruption das entscheidende Merkmal dieses Krieges: Putin hat ihn begonnen, weil er den Zorn des Volkes über die Korruption fürchtete. Und nun ist der Versuch, die ganze Ukraine zu übernehmen, an den riesigen Geldsummen gescheitert, welche die Verant­wortlichen der Armee geplündert haben. […]

Das Traurige an der ganzen Situation ist, dass Putin eine solche Demütigung nicht ak­zep­tieren kann. Schwäche zu zeigen, ist für ihn wie ein Todesurteil. Das macht ihn so gefährlich. Ich fürchte, dass er noch viel grössere Greueltaten begehen wird, um seinen Ruf als furcht­ein­flössender Staatschef wiederherzustellen. […]

Wenn die westlichen Länder vor Beginn des Krieges demonstriert hätten, dass sie in der Lage sind, wirtschaftliche Interessen zurückzustellen und griffige und gezielte Sanktionen zu ergreifen, hätte Putin vielleicht anders kalkuliert. Aber jetzt, da er den Krieg begonnen hat, kann er nicht mehr zurück. Nun können wir sein Kalkül nicht ändern. Wir müssen ihn physisch stoppen. Nur wenn wir ihn vollständig isolieren, so dass er kein Geld mehr hat, um diesen Krieg zu führen, werden die Sanktionen den Krieg beenden. […] […] Der Westen, insbesondere Westeuropa, [schickt] Putin jeden Tag eine Milliarde Dollar durch den Kauf von Erdöl und Erdgas. Wenn wir diesen Krieg wirklich beenden wollen, müssen wir damit aufhören, russisches Öl und russisches Gas zu kaufen.

Interview mit Bill Browder, britischer Investor und Kreml-Kritiker, NZZ 23.04.2022

manager magazin: Frau Grimm, […] Sie haben kürzlich als Mitglied der Nationalen Akademie Leopoldina eine Stellungnahme veröffentlicht, dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre. Wie kommen Sie zu der Annahme?

Veronika Grimm: Man muss sich klarmachen, vor welchem Hintergrund die Berechnungen der Leopoldina und auch vieler anderer Gruppen von Wissenschaftlern veröffentlicht wurden. Noch immer fließen immense Summen nach Russland. Allein seit Kriegsbeginn sind mehr als 35 Milliarden Euro aus der Europäischen Union an Russland gezahlt worden, überwiegend für Energielieferungen. Dadurch wird die Wirkung der Sanktionen gegen Russland abgemildert. Das Regime Wladimir Putin hat so Spielräume, weiter zu eskalieren und der Krieg könnte sich schnell auf andere Regionen ausdehnen.

Die volkswirtschaftlichen Kosten eines Lieferstopps russischer Gaslieferungen stehen also den möglichen sicherheitspolitischen Auswirkungen gegenüber, die zu erwarten sind, wenn wir zu wenig tun. Es ist bekannt, dass Putins Ambitionen nicht allein auf die Ukraine beschränkt sind. Wenn der Konflikt in Europa weiter eskaliert und die Nato womöglich irgendwann gezwun­­gen ist, einzugreifen, steht viel auf dem Spiel für Europa. Mit härteren Sanktionen hätten wir die Möglichkeit, die weitere Eskalation einzudämmen. „Handhabbar“ bedeutet also: Es ist teuer, aber wir könnten das Mittel einsetzen, wenn nötig.

Schon seit einiger Zeit erleben wir den Wechsel von einer regelbasierten zu einer stärker machtbasierten Weltordnung. Waffengewalt wird in einigen Staaten zunehmend als probates Mittel gesehen, die eigenen Ziele durchzusetzen. Wir müssen uns dem mit aller Konsequenz ent­gegenstellen. Die Zahlungen an Russland sollten daher beendet oder zumindest extrem redu­ziert werden. Auch, wenn wir dadurch einen Lieferstopp riskieren. […]

[…] Käme es nicht zu einer Rationierung in der Industrie?

Doch, das kann passieren, und zwar vorübergehend, bis ausreichend LNG für den europäischen Markt beschafft werden kann. […] Die Verfügbarkeit von Gas kann […] mittelfristig sicher­gestellt werden. Allerdings zu einem höheren Preis. Das dürfte die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der EU beeinträchtigen. Das passiert aber unabhängig von einem Lieferstopp, da wir uns ja von russischem Gas lösen wollen.

Das Ziel der Energiesicherheit macht es erforderlich, die ehemals günstigen russischen Lieferungen durch strukturell teureres LNG zu ersetzen. Die dadurch höheren Energiekosten dürften dazu führen, dass die Wettbewerbsfähigkeit eines Teils der Industrie nicht mehr gegeben ist und wir einen beschleunigten Strukturwandel erleben. Das scheint mir die eigentlich viel größere Herausforderung als ein Lieferstopp selbst. […]

Wenn Sie sich von der Bundesregierung etwas wünschen dürften, das die […] [A]bhängigkeit von russischer Energie verringert, was wäre für Sie am wichtigsten?

Die hohen Preise fossiler Energie dürfen jetzt nicht gesenkt werden. Das konterkariert die Be­mühungen, Gas einzusparen und dürfte die Schreckensszenarien, die aktuell an die Wand gemalt werden, wahrscheinlicher machen. Leider geschieht mit der zeitweiligen Senkung der Energie­steuern und der Übernahme von Energie-Mehrkosten der energieintensiven Industrie genau das Gegenteil.

Interview mit Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
(deutsches Beratungsgremium der «fünf Wirtschaftsweisen»),
Professorin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 12.04.2022
https://www.manager-magazin.de/politik/europa/veronika-grimm-zum-gas-embargo-der-effekt-
von-einsparungen-sollte-nicht-unterschaetzt-werden-a-ee5956b0-072d-4d6d-9459-d432d1c3f96e

Mich irritiert, dass ein Embargo allein mit Verweis auf den sich daraus ergebenden Wirt­schafts­einbruch abgelehnt wird […]. Entscheidend ist, ob ein Embargo ein geeignetes sicherheits­politi­sches Mittel ist, um den Frieden in Europa wieder herzustellen und zu stabilisieren […]. Derzeit fließen permanent Devisen, was es der russischen Führung leichter macht, diesen Kon­flikt weiter zu befeuern.

Natürlich wäre ein Embargo für Deutschland mit massiven Einschnitten verbunden […]. Es würde eine Rezession auslösen, in der Größenordnung möglicherweise vergleichbar mit der Pandemie. Der Staat müsste unmittelbare Härten abfedern. Es wäre also herausfordernd […]. Aber den Konflikt wieder einzuhegen, […] [ist] aktuell die entscheidende Herausforderung. […]

Es ist strategisch nicht klug, wie bisher einfach zu zahlen.

Veronika Grimm, zitiert in: ntv, „Da ist noch Spielraum“,
Wirtschaftsweise: Können Gasembargo verkraften, 30.03.2022
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wirtschaftsweise-Koennen-Gasembargo-verkraften-article23233370.html

Die Stellungnahme [der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina] kommt zu dem Schluss, dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volks­wirt­schaft handhabbar wäre. Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben, es be­stünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die nega­tiven Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Ad-hoc-Stellungnahme (8.03.2022)
Wie sich russisches Erdgas in der deutschen und europäischen Energieversorgung ersetzen lässt
https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/
Nationale_Empfehlungen/2022_Stellungnahme_Energiesicherheit_V1.1.pdf

Wir müssen ihn stoppen. Putin ist längst im Krieg mit der Nato.

Das Einzige, was Putin respektiert, ist Stärke. Wenn ihm Schwäche gezeigt wird, kennt er keine Grenze.

Michail Chodorkowski, NZZ 09.04.2022. S. 41–45.

Niemand im Westen kann verstehen, was es heisst, im russischen Machtbereich leben zu müssen. Darum, liebe westeuropäische Intellektuelle, haltet die Klappe. […]

Hört endlich einmal auf Polen, Litauen, Lettland, Estland, alles Länder, die ihre «skin in the game» haben, Russlands unglückliche Nachbarn, in deren familiärer und kollektiver Erinnerung sehr drastisch gespeichert ist, was das bedeutet – «Ruski Mir». Wer diese Traumata nicht geerbt hat, kann sie nicht verstehen. Ihr wisst wirklich nicht besser als wir, was Russland ist. Nie rollten russische Panzer in den Vororten von Paris; eure Grossmütter und Mütter haben keinen Schimmer davon, was das Anrücken der russischen «Befreier» für uns bedeutete, jene Europäer, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf der schlechteren Seite des Eisernen Vorhangs fanden. […]

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock wunderte sich nach dem Kriegs­ausbruch, dass Putin lügt. Wäre die Situation nicht so tragisch, hätte das einen grossen Lacher von Tallin bis Bukarest verdient. Nach 2014 festzustellen, dass Putin lügt, ist wie die Erkenntnis, dass Grossbritannien eine Insel ist, eigentlich Amtsvoraussetzung für eine Aussenministerin. Wir in Osteuropa wissen sehr genau, dass Russland immer lügt, wenn es ihm gerade passt, es ist auf Lügen aufgebaut, die Lüge gehört zu seinem Wesen. Da hätte man besser auf Lech Kaczynski hören sollen, der 2008 in Tbilissi den künftigen Weg des Putinschen Russland vor­hersagte. […]

Wenn also heute die Europäer aus Osteuropa den Deutschen, Franzosen oder Briten sagen, dass der Frieden nicht durch Verhandlungen, sondern nur durch einen Sieg der Ukrainer gesichert werden kann – dann hört jetzt auf sie, denn sie wissen, was sie sagen. Wenn Russland heute den Konflikt einfrieren will, so nicht aus Sorge um die Bewohner Kiews, Charkiws oder Mariupols, sondern nur weil es sich neu aufstellen, sein militärisches Potenzial auffüllen und erneut zuschlagen will, so wie seinerzeit in Tschetschenien. Frieden tritt nicht ein, wenn ihr Euch mit Russland einigt, sondern erst, wenn Russland zu keinen Angriffshandlungen mehr in der Lage sein wird. So einfach ist das.

Der Westen meint heute, einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden – vielleicht trifft das zu. Aber unsere Intuition, unser educated guess, basierend auf hundertjähriger Erfahrung, legt doch nahe, dass dieser Krieg bereits begonnen hat und es kein Zurück in die Welt davor gibt. Das heisst natürlich nicht, dass es die Lösung wäre, jetzt Nato-Truppen in die Ukraine zu schicken, es bedeutet nicht, dass man eine Eskalation nicht vermeiden sollte. Es reicht schon zu sagen: Die Nato steht im Krieg mit Russland. Diesen Krieg muss jemand verlieren. Wir hier, in Ost­europa, würden es vorziehen, wenn dieser Jemand das alte Russland ist.

Szczepan Twardoch (polnischer Schriftsteller), NZZ 09.04.2022, S. 36/37.

Wir haben jahrzehntelang von zu billigem Gas gelebt, und wir haben uns damit eine handfeste sicherheitspolitische, demokratiepolitische Externalität eingebrockt, die jetzt plötzlich einge­preist werden muss. Deutschland ist massiv ärmer geworden, und irgendjemand muss dafür Ein­bussen in seinem Lebensstandard hinnehmen, wie die Griechen in der Euro-Krise.

Rüdiger Bachmann (Wirtschaftsprofessor, University of Notre Dame),
zitiert in: Christoph Leisinger, Boykott jetzt oder nie, NZZ 08.04.2022, S. 25.

Die EU und der Westen müssen zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, dass in der Ukraine die europäische liberale Demokratie verteidigt wird – eine klarere Botschaft an Putin ist notwendig. Ein langsamer und schrittweiser Ausstieg aus den russischen fossilen Brennstoffen ist weder ethisch akzeptabel noch politisch und wirtschaftlich klug.

Guntram B. Wolff, 05.04.2022
https://www.bruegel.org/2022/04/the-eu-without-russian-oil-and-gas/

(übersetzt aus dem Englischen)

Europas Energiebedarf hindert viele Länder daran, […] schärfere wirtschaftliche Sanktions­maß­nahmen zu ergreifen. Russland beliefert die Europäische Union mit etwa 40 % ihres Erdgases sowie mit etwa 25 % ihres Erdöls und fast 50 % ihrer Kohle. Und dieser Handel geht weiter. Das ist eine Schwäche, die Putin ausgenutzt hat. Letzte Woche erließ er ein Dekret, demzufolge die Gaslieferungen „unfreundlicher“ Länder abgestellt werden, wenn die Kunden nicht in Rubel (statt in US-Dollar oder Euro) zahlen. […]

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben Putins Forderungen zu Recht zurück­gewiesen, und zumindest im Moment scheint der Kreml einen Rückzieher zu machen. Forscher und Analysten halten es für unwahrscheinlich, dass Putin die Gaslieferungen unter­bricht, da Russland einen großen Teil seiner täglichen Einnahmen in Höhe von 700 Millionen Euro (771 Millionen US-Dollar) aus der EU verlieren würde – Geld, das es derzeit zur Finan­zie­rung seines Militärs verwendet. Und Russland ist nicht in der Lage, diesen Verlust durch die Umleitung seiner Gaslieferungen in befreundete Länder auszugleichen, da dies den Bau neuer Infrastrukturen erfordern würde, was nicht so schnell möglich ist.

Was auch immer geschieht, die Drohung ist ein Zeichen dafür, dass die EU ihre Be­mühun­gen um eine Abkehr von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland be­schleunigen muss. Sie unterstreicht auch, was Forscher, die sich mit Klima, Energie und Wirt­schaft beschäftigen, schon seit Jahrzehnten sagen: dass Klimasicherheit und Energiesicherheit miteinander verknüpft sind.

Forscher, die von Nature kontaktiert wurden, sagen, dass die europäischen Länder in der Lage sein sollten, den nächsten Winter ohne russische Importe oder Stromausfälle zu über­stehen. Dies würde jedoch sofortige Maßnahmen an vielen Fronten erfordern, darunter eine intensive internationale Zusammenarbeit zur Förderung von Erdgasimporten aus anderen Län­dern, den Start einer Fülle von Projekten für saubere Energie und die Einführung einer Vielzahl von Maßnahmen zur Energieeinsparung und -effizienz, möglicherweise einschließlich Energie­rationierung.

Wenn es zunächst darum geht, die Lichter nicht ausgehen zu lassen, muss das lang­fristige Ziel die Dekarbonisierung sein, die es Europa ermöglicht, gleichzeitig seine Abhängig­keit von Russland zu beenden und seine Klimaziele zu erreichen. […] All das wird nicht einfach sein, aber wenn die Welt einer sicheren und sauberen Zukunft entgegenblicken soll, haben wir keine andere Wahl.

Wissenschaftler und Umweltschützer weisen die Regierungen schon seit Jahrzehnten darauf hin, dass fossile Brennstoffe nicht nur das Klima, sondern auch die Geopolitik destabi­li­sieren, da sie Abhängigkeiten von problematischen Regimen schaffen.

Unabhängig davon, ob die europäischen Länder beschließen, kein russisches Gas mehr zu kaufen, werden sie mit ziemlicher Sicherheit beträchtliche wirtschaftliche Einbußen hin­nehmen müssen, wenn die Preise weiter steigen. Da viele Unternehmen nicht in der Lage sind, die kommenden Schocks aus eigener Kraft zu überstehen, und weil dadurch Arbeitsplätze verloren zu gehen drohen, werden die Regierungen keine andere Wahl haben, als einzugreifen und zu helfen.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs sind sich sehr wohl bewusst, dass sie den Feind vor ihren Toren finanzieren. Sie […] müssen begreifen, dass die Dekarbonisierung die Ant­wort auf die Herausforderungen der Energiesicherheit und der Klimasicherheit ist.

Nature (https://www.nature.com/), Editorial, 05.04.2022
https://www.nature.com/articles/d41586-022-00920-y

Mich irritiert, dass ein Embargo allein mit Verweis auf den sich daraus ergebenden Wirt­schafts­einbruch abgelehnt wird […]. Entscheidend ist, ob ein Embargo ein geeignetes sicherheits­politi­sches Mittel ist, um den Frieden in Europa wieder herzustellen und zu stabilisieren […]. Derzeit fließen permanent Devisen, was es der russischen Führung leichter macht, diesen Kon­flikt weiter zu befeuern.

Natürlich wäre ein Embargo für Deutschland mit massiven Einschnitten verbunden […]. Es würde eine Rezession auslösen, in der Größenordnung möglicherweise vergleichbar mit der Pandemie. Der Staat müsste unmittelbare Härten abfedern. Es wäre also herausfordernd […]. Aber den Konflikt wieder einzuhegen, […] [ist] aktuell die entscheidende Herausforderung. […]

Es ist strategisch nicht klug, wie bisher einfach zu zahlen.

Veronika Grimm, zitiert in: ntv, „Da ist noch Spielraum“,
Wirtschaftsweise: Können Gasembargo verkraften, 30.03.2022
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wirtschaftsweise-Koennen-Gasembargo-verkraften-article23233370.html

Aus rein außenpolitischer Sicht ist ein Energie-Embargo die ideale Sanktion gegen Russland. Der Staatshaushalt, aus dem das Militär finanziert wird, wird geschwächt. Zudem wäre der Kollateralschaden für die russische Bevölkerung nicht so hoch wie bei anderen Maßnahmen. Ein Boykott wäre ein gezieltes Instrument, das genau die Richtigen trifft. Das russische Regime hat seine Macht um den Energiekomplex herum aufgebaut. Es sind Putins älteste Vertraute, die die Hebel in der Energiewirtschaft in der Hand haben. Öl und Gas sind für den Kreml von existenzieller Bedeutung.

Der Wirtschaftseinbruch, der durch die derzeitigen Sanktionen in Russland eintritt, ist für das Regime selbst erst einmal kein unmittelbares Problem. Die russische Führung wird sich immer über die Energie finanzieren können. Dadurch, dass einige andere Wirtschaftszweige jedoch einbrechen, sind die russischen Bürger noch stärker auf den Staat und eine Verteilung der Öl- und Gaseinnahmen angewiesen. Solange es diese Einkünfte gibt, kann Putin weiter die Sicherheitsorgane bezahlen und die Unternehmen subventionieren, die für seine Machterhaltung entscheidend sind. Mit einem Embargo trifft man genau ins Herz der russischen Macht.

Janis Kluge (Russlandexperte), 28.03.2022
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/energie-embargo-krieg-finanzierung-kluge-101.html

Man wird den Eindruck nicht los, dass rund um die Oligarchen-Gelder auch deshalb ein solches Spektakel veranstaltet wird, weil gerade Europa nicht bereit ist, die wirklich entscheidenden Sanktionen anzuwenden: einen Stopp oder zumindest eine sofortige scharfe Reduktion der Käufe von russischem Erdöl und Erdgas. Ob die Schweiz noch 5 oder 20 weitere russische Milliarden einfriert, ist vor allem fürs eigene Gemüt wichtig. Kleinlaut wird in Deutschland erklärt, dass Energiesanktionen eben auch der eigenen Wirtschaft schaden würden. […] Der wirtschaftliche Feldzug gegen Putin endet an der eigenen Schmerzgrenze. Eine Grenze die immer noch sehr tief liegt.

André Müller, Die «Oligarchenjagd» ist ein Ablenkungsmanöver, NZZ 25.03.2022, S. 20

Der beste Weg, Putins Kriegsmaschinerie zu stoppen, besteht darin, seinen täglichen Zufluss an harter Währung zu unterbinden. Und das geht am besten, wenn Europa aufhört, Geld für russi­sches Öl und Gas zu überweisen. […] Die Einnahmen aus Energieexporten finanzieren über 40 Prozent des russischen Haushalts. […] Seit dem 24. Februar hat Europa mehr als 19 Milliarden US-Dollar für diese Produkte an Putin gezahlt.

Besonders ungeheuerlich ist, dass infolge der Invasion […] die Öl- und Gaspreise [und damit Putins Ein­nahmen] gestiegen sind. Vom Standpunkt Putins aus betrachtet, finanziert sich sein Krieg von selbst. […]

Putins Geldzufluss zu stoppen ist ein dringendes moralisches und strategisches Gebot, aber Europa verharrt in Schockstarre.

Oleg Ustenko (Wirtschaftsberater des Präsidenten der Ukraine), 25.03.2022
https://www.nytimes.com/2022/03/24/opinion/why-is-europe-still-buying-oil-from-putin.html

(übersetzt aus dem Englischen)

„Geht nicht“ ist eine höchst problematische Aussage […]. Denn die wahrscheinliche Heraus­forderung wird sein, dass wir gar keine andere Wahl haben werden, als zu zeigen, wie es doch geht.

Claudia Kemfert (Energieexpertin),
zitiert von Philip Oltermann in der britischen Zeitung The Guardian, 15.03.2022
https://www.theguardian.com/world/2022/mar/14/russian-gas-oil-boycott-mass-poverty-warns-germany

(übersetzt aus dem Englischen)

Putin ist ein sehr eifriger Beobachter der Energiemärkte, und er hat wahrscheinlich, als er dies [den Überfall auf die Ukraine] vom Zaum riss, erkannt, dass der Zeitpunkt ihm in die Hände spielte, weil die Öl-, Gas- und Kohle­märkte angespannt waren, so dass nicht viele freie Kapa­zitäten zur Verfügung standen.

Dan Yergin (Energiehistoriker und Energiesachverständiger),
zitiert in: Ben Geman, Why it’s so hard to quit Russian energy, 15.03.2022
https://www.axios.com/russia-oil-natural-gas-europe-ukraine-85d9530e-8b7f-48a0-878f-ca2fd112a26a.html

(übersetzt aus dem Englischen)

Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Abkopplung der deutschen Wirtschaft von russischen Energieimporten […] dürften zwar erheblich, aber zu bewältigen sein. Kurzfristig würde ein Stopp der russischen Energieimporte zu einem BIP-Rückgang zwischen 0,5 % und 3 % führen (im Vergleich dazu betrug der BIP-Rückgang im Jahr 2020 während der Pandemie 4,5 %).

Rüdiger Bachmann, David Baqaee, Christian Bayer, Moritz Kuhn, Andreas
Löschel, Benjamin Moll, Andreas Peichl, Karen Pittel, Moritz Schularick,
What if? The economic effects for Germany of a stop of energy imports from Russia, 07.03.2022,
https://www.econtribute.de/RePEc/ajk/ajkpbs/ECONtribute_PB_028_2022.pdf

(übersetzt aus dem Englischen)

Die Stellungnahme [der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina] kommt zu dem Schluss, dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volks­wirt­schaft handhabbar wäre. Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben, es be­stünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die nega­tiven Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Ad-hoc-Stellungnahme (8.03.2022)
Wie sich russisches Erdgas in der deutschen und europäischen Energieversorgung ersetzen lässt
https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/
Nationale_Empfehlungen/2022_Stellungnahme_Energiesicherheit_V1.1.pdf

Auch wenn heute das Gegenteil behauptet wird: Putin war nie anders, er nutzt die Feigheit des Westens, der mit Blindheit geschlagen war. Aber nun muss Schluss sein damit, dass wir über Gas und Erdöl seine Kriege und seine Unterdrückung finanzieren. Wir bekommen nun die Rechnung serviert, von der wir geglaubt haben, dass sie nie ausgestellt wird.

Josef Ertl, 07.03.2022
https://kurier.at/chronik/oberoesterreich/kein-gas-geld-fuer-putins-krieg/401929516

Heute wird die Freiheit in der Ukraine verteidigt. Da sind auch wir gefordert. Ein Verzicht auf russische Energie ist möglich, wenn die westliche Staatengemeinschaft dies gemeinsam anpackt. Und nur wenn wir russische Energie boykottieren, treffen wir Putins Achillesferse.

Martin Ganslmeier, 07.03.2022
https://www.tagesschau.de/kommentar/putin-gas-oel-boykott-101.html