Freiheit, Friede oder Wohlstand
Der Krieg in der Ukraine fordert unverändert einen hohen Blutzoll, die russische Armee setzt unerbittlich ihre Offensive im Donbass fort.
Der Aggressor macht Städte dem Erdboden gleich und löst weitere Fluchtbewegungen aus.
Putin schreckt nicht einmal davor zurück, durch den Diebstahl ukrainischen Getreides und die Blockade der Häfen des Schwarzen Meeres eine weltweite Hungerkrise auszulösen.
In Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern wird derweil weiter vor allem diskutiert und gestritten.
Über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, über Sanktionen und EU-Perspektiven der Ukraine.
Im offenen Brief gegen die Lieferung schwerer Waffen heißt es:
Wir sind … überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat.
Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung – und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.
Die Begründung, die deutsche «historische Verantwortung» könnte es uns erlauben, ausgerechnet der Ukraine eine Kapitulation vor dem Aggressor nahezulegen, ist absurd, in Anbetracht der deutschen Rolle im Zweiten Weltkriegs sogar beschämend.
Bemerkenswert ist aber der Verweis auf die (Wirtschafts)Macht. Folgerungen werden daraus allerdings nicht gezogen.
Im Gegenbrief für Waffenlieferungen heißt es immerhin:
Das erfordert die kontinuierliche Lieferung von Waffen und Munition, um die militärischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Ukraine zu wenden. Und es erfordert die Ausweitung ökonomischer Sanktionen auf den russischen Energiesektor als finanzielle Lebensader des Putin-Regimes.
Die erwähnte Ausweitung der Wirtschaftssanktionen bleibt blass und abstrakt.
Frieden schaffen mit mehr Waffen ist eine schwierige These, hat aber zumindest den Vorteil, nicht dem Aggressor das Wort zu reden. Denn für diesen Krieg ist allein der russische Präsident verantwortlich; er könnte das Töten jederzeit stoppen.
Daher ist es bedauerlich, dass der Offene Brief: «Mr. Putin, stop this war» ohne große Resonanz geblieben ist.
Die einen wollen mithin die Freiheit (natürlich nicht die eigene, aber zumindest die der Ukrainer) zugunsten des Friedens aufgeben.
Die anderen wollen den Frieden zurückstellen, um die Freiheit zu retten. Es bleibt eine Lücke, denn beide Briefe weisen eine beträchtliche Leerstelle auf: Sie blenden unseren Wohlstand aus – It’s the economy, stupid!
Die Gleichung wäre viel überzeugender, wenn sie lautete: Wir retten Frieden UND Freiheit, weil wir bereit sind, (einen Teil von unserem) Wohlstand zu opfern!
Die bisherigen Sanktionen sind halbherzig, treffen aber dennoch erheblich. Nicht umsonst fordert Putin ihre Rücknahme, um den Getreideexport aus der Ukraine nicht weiter zu blockieren.
Wie würde erst ein kompletter Importstopp auf Russland wirken? Das gesamte Kalkül des Kreml wäre durchkreuzt.
Frieden oder Freiheit? Diese Alternative ist falsch! Wir können beides erreichen.
Der Preis ist lediglich der Verzicht auf ein wenig Wohlstand. Das sollte in so reichen Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz machbar sein.
Warum also zögern wir noch?