Putin stoppen? Wie es garantiert nicht funktioniert…

Vor dreieinhalb Monate begann der russische Angriffskrieg. Es gibt keine Anzeichen, dass er bald endet.

Die Kämpfe werden blutiger, die Verluste steigen, die Zerstörung weitet sich aus, die westliche Unterstützung beginnt zu erlahmen – wie lange wird die Ukraine noch durchhalten?

Dabei ist längst erkannt, dass die brutale russische Aggression nicht haltmachen wird an den Grenzen der Ukraine. Sie wird weitergehen.

Was ist zu tun, um Putin zu stoppen? Mit letzter Gewissheit werden wir es erst wissen, wenn es gelungen ist.

Aber wir haben genug gesehen, um zu wissen, was nicht funktioniert und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch künftig nicht funktionieren wird.

In den ersten Kriegswochen hat das russische Regime unliebsame Überraschungen erlebt:
  • Überrascht wurde es von der Heftigkeit und Entschlossenheit des ukrainischen Widerstands, zu dessen Schlagkraft westliche Waffenlieferungen entscheidend beitragen.
  • Für ein böses Erwachen sorgten weiter die Unzulängligkeiten der eigenen Armee, welche peinliche Schlappen erlitt.
  • Unerwartet kam auch die präzedenzlose Härte der Wirtschaftssanktionen, die der Westen unter amerikanischer Führung innerhalb weniger Tage ergriffen hat.

Doch die Hoffnung, all dies werde Russland zum Rückzug bewegen, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr hat sich das Bild inzwischen gewandelt.

Westliche Waffenlieferungen bleiben begrenzt und zögerlich.

Sie bewahren die ukrainischen Streitkräfte vor dem Zusammenbruch, genügen aber nicht für den entscheidenden Durchbruch an der Front.

Die eigenen Unzulänglichkeiten bremsen die russische Armee, hindern sie aber nicht, in der Ostukraine langsam aber sicher vorzurücken. Der skupellose Einsatz der vielfach überlegenen Feuerkraft legt alles in Schutt und Asche.

Die westlichen Wirtschaftssanktionen treffen die russische Wirtschaft empfindlich, bedrohen die wirtschaftliche Grundlage des russischen Regimes aber nicht. Putin gibt sich unbeeindruckt.

Die finanzielle Macht des russischen Regimes beruht vollständig auf dem Export von fossilen Brenn­stoffen.

Diesem strategischen Wirtschaftszweig haben die westlichen Sanktionen bisher wenig anhaben können. Vielmer profitiert der Sektor von stark gestiegenen Öl- und Gaspreisen.

Nach langem Hin und Her hat sich die EU zwar endlich zu einem Teilembargo russischen Erdöls durchringen können.

Das EU-Ölembargo beibt aber löchrig. Es wird zudem erst Ende des Jahres wirklich zu greifen beginnen.

Bis dahin hat Russland reichlich Zeit, alternative Absatzkanäle zu finden.

Derweil ist ein EU-Gasembargo nach wie vor nicht in Sicht.

Seit Kriegsbeginn haben die Europäer fossile Brennstoffe aus Russland für über 60 Milliarden Euro gekauft. Bis Ende des Jahres wird sich dieser Betrag verdreifachen.

Geeignet, die russische Führung zu beeindrucken, wäre einzig ein umfassender und sofortiger Importstopp für Öl und Gas – oder zumindest die glaubwürdige Drohung damit.

 

Ein konsequenter Importstopp würde Russland zur Stilllegung von Förderkapazitäten zwingen. Einmal stillgelegte Öl- und Gasfelder lassen sich aber später nur mit hohem Aufwand wieder reakti­vieren.

Neulich sagte Putin, der Westen werde noch einige Jahre lang auf russisches Erdöl und russi­sches Erdgas nicht verzichten können. Und niemand könne wissen, was in der Zwischen­zeit geschehe.

Russland werde deshalb keine Ölquellen zubetonieren.

Leider spricht vieles dafür, dass Putins Einschätzung sich als richtig herausstellen wird.

Wie es den Anschein macht, fehlt derzeit im Westen und besonders in Europa der kollektive Wille, in dieser geopolitische Auseinandersetzung die Initiative zu ergreifen und das Steuer herumzureissen.

Europa bleibt zu drastiscchen Massnahmen unfähig. Obschon die Krise nicht nur die Ukraine verheert, sondern auch die Grundlagen unserer eigenen Sicherheit erschüttert. Es fehlt an über­zeugender Führung.

 

Inzwischen spritzt sich die Lage weiter zu. Eine durch den Ukrainekrieg massiv verschärfte Welternährungskrise ist im Anzug.

Damit gerät neben Öl und Gas ein weiterer Rohstoff in den Fokus: Weizen.

Hier steht nicht mehr nur die Energieversorgung auf dem Spiel. Es geht um Hunger.

Leiden werden allerdings nicht die Menschen in Europa, sondern jene in ärmeren Ländern, vor allem in Afrika.

Muss es so weit kommen? Warum zögert Europa, entschlossen zu handeln? Es ist dringend, Putin zu stoppen.

 

So wichtig Waffenhilfe an die Ukraine ist und so sehr sie ausgeweitet zu werden verdient, so wenig wird dies angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse ausreichen. Ohne massiven wirt­schaft­lichen Druck wird es nicht gehen.

Mit den derzeitigen Prioritäten in der europäischen Sanktionspolitik setzen wir uns allerdings dem Vorwurf aus, dass uns die eigene Öl- und Gasversorgung wichtiger ist als die Versorgung hungernder Menschen in Afrika mit dem dringend benötigten Weizen aus der Ukraine und aus Russland.

Kann es erstaunen, dass viele südliche und östliche Länder sich nicht dazu bewegen lassen wollen, ihre Handelsbeziehungen zu Russland abzubrechen?

Wieso sollen sie eine Sanktionspolitik mittragen, die von europäischen Interessen gefärbt ist, ihren eigenen Interessen hingegen kaum entspricht?

 

Die Menschen im Süden und im Osten der Welt haben ein feines Gespür für westliche Schein­heiligkeit.

Die Amerikaner wollten bekanntlich unter anderem auch Indien für die Koalition gegen Russ­land gewinnen. Das wurde zum Thema, als der indische Aussenminister, Subrahmanyam Jaishankar, im letzten April in Washington zu Besuch war.

Jaishankar wies auf den bescheidenen Umfang der indischen Importe aus Russland hin: «Wahr­scheinlich sind unsere gesamten Einkäufe für den ganzen Monat niedriger, als was Europa an einem Nachmittag einkauft.»

Und er fügte bei: «Vielleicht möchten Sie mal darüber nachdenken.»

Peter Münch

 

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